Madeleine HARTH-SCHLUMBERGER (1900-1981) genannt Marie d’Ailleurs

Kindheit

28. April 1900: Geburt in Mulhouse als älteste Tochter von Auguste Harth und Louise Mansbendel. Der Vater stammt aus einer lutherischen Gerberfamilie aus Sarre-Union im Nordelsass und hat zwei Jahre in China verbracht. Seine besondere Begabung für die Malerei, die bereits bei seinem Vater ausgeprägt war, ermöglicht ihm eine Laufbahn im Textilgewerbe. Die ebenfalls protestantische Mutter aus einer Familie aus Mulhouse hegt für ihre drei Töchter keine besonders zärtlichen Gefühle und ist jeglicher Kultur gegenüber verschlossen.

« …ein kleines ausgelassenes Mädchen, voller Lebenslust, unbekümmert gegenüber allen „NEINs » aus dem Mund der Mutter… »

Nach der französischen Niederlage im Jahr 1870, wird das Elsass deutsch. Madeleine spricht zu Hause Französisch und Deutsch in der Schule, liest schon in jungen Jahren die großen Autoren und zeichnet mit einer besonderen Begabung. Mit 14 verfasst und illustriert sie ein 72-seitiges Buch, ein Weihnachtsgeschenk für ihre kleine Schwester. (Hier klicken)

Jugend

1918: das Elsass wird wieder französisch. Madeleine erlebt diese Rückkehr zum Mutterland sehr intensiv. Sie ist ein junges, überaus schönes Mädchen mit schwarzen Haaren und tiefen, blauen Augen. Auf sie fällt die Wahl während der gesamten offiziellen Feierlichkeiten die elsässische Tracht zu tragen.

Sie absolviert ihr Abitur und wird von den Eltern nach Paris geschickt. Hier logiert sie bei ihren Cousins und entdeckt das mondäne Leben, die Museen und das Theater. Auf Heiratsanträge, die bisweilen von der Familie arrangiert sind, reagiert sie ablehnend.

« Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, » wird ihre Mutter nicht müde zu wiederholen.

1921: arrangierte Hochzeit mit Jean Schlumberger. Die Schwiegereltern besitzen große Waldflächen. Jean leitet einen Mehlhandel. Trotz eines unbeschwerten Lebenswandels fühlt sich Madeleine unglücklich und isoliert, mit einem Ehemann, der ihre Leidenschaften nicht teilt. Dennoch spielt sie die Rolle der Hausherrin und leidet sehr darunter, keine Kinder zu haben. Schließlich empfängt sie doch ein kleines Mädchen, Nancy, welches ihre ungeteilte Zuneigung erhält.

Erwachsenenjahre

Madeleine entgeht der ehelichen Routine, indem sie den Winter in Straßburg verbringt, wo sie das Atelier des Malers Édouard Hirth frequentiert. Sie hält sich in Paris auf, reist in die Toskana oder nach Umbrien. Hier entdeckt sie den Quatrocento und einen Katholizismus der Schönheit und der Emotionen. Sie findet endlich eine Umgebung, in der sie ihren Empfindungen Ausdruck geben kann.

1940: der Krieg erreicht das Elsass. Madeleine flieht mit ihrer Tochter in die Charente (im Westen von Frankreich) und kehrt danach wieder nach Paris zurück, wo sie bis 1942 bleibt. Sie schreibt sich im Atelier des Malers André Lothe ein, eines Meisters des Kubismus. Ihr Mann bleibt im nunmehr deutschen Elsass und fordert sie auf, zu ihm zurückzukehren. So erlebt sie Bombardements, Kämpfe und schließlich die Befreiung.

Das Paar kauft eine alte Mühle an der Côte d’Azur, in der Nähe von Antibes. Eigentlich als Ferienhaus gedacht, macht Madeleine daraus einen magischen Ort, wo sie endlich ihrer Persönlichkeit freien Lauf lassen kann. Sie verbringt hier das ganze Jahr, zeichnet und malt: Aquarelle und Ölbilder, reale und imaginäre Landschaften. Sie liest sehr viel: Philosophie, Mystik, Geschichte. Sie schreibt in einer sehr poetischen Sprache zahlreiche Texte. Sie empfängt Freunde, Künstler, Wissenschaftler und Philosophen, für die das Haus eine Art Salontreffpunkt darstellt.

Madeleine, als Kind, bekam von ihrer geliebten Großmutter kleine Puppenmöbel geschenkt, welche von ihrer Mutter umgehend eingezogen wurden: „Die bekommst du, wenn du groß bist. » Anlässlich einer Erbschaft stößt Madeleine mit großer Freude auf die Möbel.

 

 

 

Sie stellt die kleinen Stühle in ein altes Puppenhaus, fügt Teppiche und Vorhänge, diverse kleine Gegenstände und Figuren hinzu. Ein ganzes Dekor entsteht.

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Weitere Szenen folgen. Auf ihren Reisen oder auf Flohmärkten ist sie ständig auf der Suche nach Puppenhäusern und den unterschiedlichsten Gegenständen. Viele Dinge bekommt sie geschenkt,
„um sie zu retten ». Sie gestalten kleine Szenen, malt die Dekors, öffnet Perspektiven. Jedes Objekt erhält bei ihr eine Seele, „seinen Platz. ».

« Es gibt kein mehr, kein weniger, kein nah, kein groß, kein klein, kein gestern, kein heute. Nichts ist ohne Leben: alles lebt, flüstert, lädt ein, fordert… »

Sie gestaltet außerdem dreidimensionale Kollagen aus Materialien ohne Wert.

« Ich hob alte Dinge aus dem Staub der Straßen auf, die von anderen keines Blickes mehr gewürdigt wurden. »

Sie schreibt viel, ohne jedoch an eine Veröffentlichung zu denken. Vier ihrer Manuskripte werden 25 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht. (Hier klicken).

Letzte Lebensjahre

Doch die Geschäfte ihres Mannes laufen schlecht. Ihr Haus muss verkauft werden. Madeleine lässt sich in einer kleinen Wohnung in Straßburg nieder. Sie wird wieder von einer unbändigen Schaffenskraft ergriffen – ihr einziger Lebensinhalt.

Etwa zehn Jahre lang schreibt und malt sie und entwirft neue Dekors. Ihr Ruf in Museums- und Sammlerkreisen führt zahlreiche Besucher zu ihr. Sie ist jetzt eine alte, weißhaarige Dame, die immer noch durch ihre Schönheit und Bildung besticht. Jene, die sie empfängt, sind fasziniert von diesem kleinen persönlichen Museum, wo mehr als 50 Häuser, Kirchen, Geschäfte, Landschaften und Theater dargestellt sind.

Weder Art naïf, noch Art brut, die künstlerische Sprache Madeleines erhielt den Namen „Art singulier”.
War sie ihrer Zeit voraus oder ganz einfach nur sehr persönlich?

« Die Welt Marie d’Ailleurs’ ist eine Welt für jene, die sich ihr kindliches Gemüt bewahrt haben. Tausend Jahre sind hier wie ein Tag… »